An positiver Psychologie interessierte Menschen wissen: “Glück ist eine Wahl, die man trifft, und eine Fähigkeit, die man trainiert, entwickelt, aufbaut.” (Ute Thumm) Aber gilt das auch für politische Wahlen?
Am 26.9.2021 werden in Deutschland die politischen Prioritäten für die nächsten Jahre neu gewählt. Auch wenn der oder die einzelne in vielen Aspekten des eigenen Glückes Schmiedin ist, sind es politische Entscheidungen, die viel Einfluss auf die äußeren Lebensbedingungen haben, in unserem Land und in anderen Ländern, jetzt und für die Zukunft. Ohne Stahl, Esse und Feuer kann auch die beste Schmiedin nichts ausrichten. Dazu haben politische Maßnahmen auch Wirkung auf unsere Kultur, zum Beispiel auf die Art wie eine Gesellschaft sich selbst sieht, also ob wir als Menschen im allgemeinen vertrauenswürdig, wohlwollend sind oder nicht. Und auch unsere Wertmaßstäbe sind, also wie Produktivität, Durchsetzungskraft, Gemeinsinn, Mitgefühl, Glücklich sein gewertschätzt wird, hat auch mit staatlichen Regularien zu tun.
Es gibt im politischen Handeln eine Maßnahme, die eine grundlegende Veränderung im Bezug auf eine glücklichere und mitfühlendere Welt haben kann:
Die Veränderung der Ausrichtung
Für den Erfolg von staatlichem, politischem Handeln gibt es aktuell im Wesentlichen einen allgemein verbreiteten Maßstab: Die Summe aller wirtschaftlichen Tätigkeiten, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), im Englischen Gross Domestic Product (GDP). Was für ein schlechter Maßstab das ist, hat Robert Kennedy vor über 50 Jahren sehr eindrücklich in einer Rede beschrieben: “Es misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.” (Youtube, Englisches Manuskript, Deutsche Übersetzung). Auch andere Kennzahlen, wie Staatsverschuldung oder Arbeitslosenquote, haben ihre Berechtigung, beziehen sich aber primär auf wirtschaftliche Belange.
Mittlerweile gibt es mehr und mehr Versuche, Maßstäbe zu entwickeln, die mehr das Messen wollen, was für das Wohlbefinden von Menschen wirklich wichtig ist. Die Vereinten Nationen (UN) und die OECD (die Vereinigung der 38 reichsten Nationen) haben ihre Mitglieder aufgefordert, geeignete Maßnahmen zur Bewertung von Glück und Wohlbefinden zu entwickeln. Ansätze dazu sind z.B. der OECD Better-Life-Index, der Social Progress Index oder die etwas unaktuelle Seite der deutschen Bundesregierung “Gut leben in Deutschland”.
Auch diese Indizes berücksichtigen allerdings nur teilweise die Erkenntnisse der positiven Psychologie zu den Rahmenumständen eines glückliches Lebens. Vor allem aber fehlt die Verankerung dieser Maßstäbe im politischen Handeln. Das geht besser! Das kleine Land Bhutan ist für sein Konzept des Bruttonationalglücks bekannt geworden, das dort in verschiedener Weise in politischen Prozessen eine Rolle spielt. Räumlich weiter entfernt, aber kulturell vielleicht naheliegender ist das Beispiel von Neuseeland. Dort werden Indikatoren für ein “generationsübergreifendes Wohlbefinden” aktiv in die Politik eingebaut. “Wenn Sie Minister*in sind und Geld ausgeben wollen, müssen Sie beweisen, dass Sie das generationsübergreifende Wohlbefinden der Generationen verbessern werden.”, sagt Ministerpräsidentin Jacinda Ardern.
Es gäbe auch konkrete politische Maßnahmen, die zu einer größeren Lebenszufriedenheit in Deutschland beitragen könnten, z.B.
- die stärkere Berücksichtigung psychischer Gesundheit in der staatlichen Gesundheitsvorsorge oder
- die Vermittlung von Lebensfertigkeiten und Einstellungen, die die Lebenszufriedenheit fördern, als verbindlicher Teil der Schulausbildung.
Allerdings wäre die grundsätzliche Ausrichtung auf Lebenszufriedenheit der entscheidende Schritt, aus dem sich andere ergeben könnten.
Eine solche Ausrichtung würde auch Menschen mehr spüren lassen, dass sie in politischen Entwicklungen eine Rolle spielen. Sie wäre sogar im Eigeninteresse der politischen Parteien: Nach einer Studie aus 2019 ist das subjektives Wohlbefinden eines Landes ein besserer Indikator dafür, dass Regierungen wiedergewählt werden als wirtschaftliche Faktoren.
Die Parteien in Deutschland
Was stellt man fest, wenn man die Wahlprogramme der 6 größten Parteien auf eine solche Ausrichtung auf Glück und Wohlbefinden untersucht? In manchen Wahlprogrammen tauchen nicht einmal die Worte Glück, Zufriedenheit oder Wohlbefinden auf. Einmal immerhin taucht “Wohlbefinden der ganzen Gesellschaft” als Kriterium für eine gute Gesundheitsversorgung auf, was schon eine wohltuende Abwechslung zu anderen Zielen in diesem Zusammenhang ist, die sich eher technisch anhören: “hochwertige Versorgung sichern”, “digitalisieren”. “Glück” taucht – wenn überhaupt – eher als individuelles Thema auf oder als etwas, was nur in der Familie stattfindet. Bezüglich einer Ausrichtung auf ein generationsübergreifendes Wohlbefinden ist da leider nichts zu sehen.
Was kannst du tun? Wie kann wählen glücklich machen?
Da bezüglich des Bruttonationalglücks von den Parteien aktuell noch nicht viel zu erwarten ist, könnte der Wahl-O-Mat eine Orientierungshilfe sein. Die Plattform der Bundeszentrale für politische Bildung soll ab dem 2.9. verfügbar sein und sucht heraus, welche Parteien zu verschiedenen Fragestellungen am meisten mit dir übereinstimmen.
Um das Thema der Orientierung am generationsübergreifenden Wohlbefinden weiter zu verbreiten, könntest du Politiker*innen fragen, was ihre Partei dazu unternehmen möchte, falls du eine*n in nächster Zeit auf der Straße triffst.
Du könntest dich auch in unsere Gesprächsgruppe zum Thema Glücksindex und Politik einschalten, bei der wir überlegen, wie das Thema in Deutschland weiter vorangebracht werden könnte. Welche Frage könnten wir zusammen Bundesparteien vor der Wahl stellen, damit das Thema vielleicht langsam eine größere Bedeutung bekommt?
Und schließlich kann wählen glücklich machen, denn es kann ein Anlass zur Dankbarkeit sein. Allen Einschränkungen zum Trotz würden sich wahrscheinlich 90% der Menschen auf der Welt wünschen, in einem politischen System mit solcher politischen Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu leben, wie dem deutschen. Für all die Menschen, die sich in diesem Sinne für uns engagiert haben und weiterhin engagieren, können wir dankbar sein.
Tobias von Action for Happiness